von Jessica Tobler

Disruption ist ein Phänomen, undurchschaubar und überraschend wie der Referent Marcus John Henry Brown auf der 27. Europace-Konferenz selbst. Wann können wir von disruptiven Technologien profitieren? Und wo liegen die Gefahren? Mit Witz und Charme aber auch einer Portion Ernst führt der Engländer durch seinen Vortrag und ist sich sicher: es führt kein Weg mehr am Thema Disruption vorbei.

Brown bedient sich anschaulicher, wenn auch manchmal gewöhnungsbedürftiger Beispiele um das Phänomen Disruption zu erklären. Anhand der amerikanischen Fantasyserie „Game of Thrones“ zeigt er, wie Menschen reagieren, wenn sie wissen, was als nächstes geschieht, oder wenn sie es eben nicht wissen. Oder wie in diesem Beispiel, wenn sie die Bücher zur Serie gelesen haben, oder nicht. Angewendet auf das Thema Markt ist das natürlich nicht so einfach. Es gibt keine Bücher, die einen auf zukünftige und unerwartete Veränderungen am Markt vorbereiten können. Ahnungslose Zuschauer sitzen in der gezeigten Videosequenz neben Bücherkonsumenten und reagieren total schockiert auf Filmszenen, die der wissende Zuschauer nur mit einer kurzen, kaum wahrnehmbaren Reaktion begleiten. Brown meint damit vielmehr, dass man den nötigen Weitblick und ein Gespür für den zukünftigen Markt braucht. Erst wenn man dieses Gespür besitzt, ist man fähig, disruptive Innovationen zu entwickeln, aber auch vorhersehen zu können. Einige Unternehmen haben laut Brown dieses Gespür nicht. Um es in seinen Worten auszudrücken: sie nehmen die neuen Innovationen nicht ernst und denken, ihr Unternehmen sei too big to fail. Als Beispiel dafür führt er die Stadt Detroit mit ihrer Automobilindustrie an. Dabei zeigt Brown auf, wie groß der Einfluss von Disruption auf die Gesellschaft sein kann.

„Und jetzt möchte ich ein paar Beispiele zeigen, wo es so klar war, dass das kommen würde und es so traurig ist, dass die Leute sich nicht darauf vorbereitet haben und [es sind] die perfekten Beispiele [dafür] warum wir dieses Thema Disruption so ernst nehmen sollten.“

Die Automobilindustrie setzte in den 60er und 70er Jahren auf prestigeträchtige Au-tos. Diese waren aber leider nicht nachhaltig und hatten einen immensen Benzinverbrauch. Trotz der Ölpreiskrise 1973 hielt die Automobilindustrie an Autos mit hohem Benzinverbrauch fest. Dies sei der Nachteil, so Brown, wenn ein Unternehmen die Augen vor möglichen zukünftigen Entwicklungen am Markt verschließt. Denn bald entwickelten die Japaner ein benzinsparendes Auto, das die amerikanischen Autos vom Markt verdrängte. Diese damals disruptive Technologie der Japaner hatte zur Folge, dass die Arbeiter in Detroit ihren Job verloren. Die japanische Gemeinde in Detroit traute sich nicht mehr auf die Straße und es endete in der Ermordung eines Japaners durch einen ehemaligen Chrysler-Betriebsratsvorsitzenden. Disruption kann also auch „maximale Eskalation“ bedeuten. Weitere Beispiele sind, so Brown, die Musikindustrie, die die Gefahr, die von Musiktauschbörsen wie Napster oder iTunes ausgingen, nicht erkannt hat oder die Druckindustrie, die den Einfluss digitaler Medien unterschätzte.

Warum aber scheint großen Unternehmen oft der Weitblick oder das Gespür für zu-künftige Veränderungen am Markt zu fehlen? Brown erklärt, dass wir uns alle, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich, in sogenannten Blasen befinden. Wir brechen selten aus ihnen aus und sie dienen als Filter für unsere Umwelt und unsere Wahrnehmung. Brown nennt diese Blasen ‚Filterbubbles‘. Sie lassen uns keine neuen Wege gehen und schränken unseren Blick ein.

„Meine Welt ist maßgeblich bestimmt von Leuten, die ich kenne und Freunden auf Facebook, von den Artikeln und den Zeitungen, die ich lese und den Leuten, die ich kennenlerne… Wir sind auch teilweise im Berufsleben so sehr in unserer Filterbubble eingesperrt, dass es uns unmöglich ist, neue Wege zu gehen.“

Zur Veranschaulichung zeigt Brown eine Studie von Epson Europe, die die Barrieren aufzeigt, mit denen ein Unternehmen im Zusammenhang mit Disruption zu kämpfen hat. Es sind die festgefahrenen Arbeitsabläufe, die oft Probleme bereiten und einem Unternehmen die nötige Reaktionsfertigkeit und Agilität nehmen. Je flexibler ein Unternehmen agiert, desto schneller kann es sich kurzfristigen Veränderungen am Markt anpassen und somit weiterhin erfolgreich bleiben. Es scheint, als wäre eine gewisse Risikobereitschaft in allen Bereichen des Unternehmens förderlich. Zu den häufigsten Barrieren gehören: Hohe Bürokratie, Angst vor Veränderung oder davor eigenes Kapital zu investieren, aber auch fehlende Kreativität oder fehlende Infrastruktur. Die Studie soll aber nicht nur die Fallen aufzeigen, in die große Unternehmen tappen: die einzelnen Punkte können auch Anhaltspunkte sein, wie man ein Unternehmen agil, zukunftsorientiert und offen steuern kann.

Zum Abschluss gibt Brown eine Prognose ab, mit welcher Art von Disruption wir in den nächsten fünf Jahren konfrontiert sein werden. Eine davon wird die White-Space Disruption sein und wird von denjenigen ausgehen, die sehen, was sonst keiner sieht. Gute Beispiele dafür sind Unternehmer wie Elon Musk, CEO von Tesla Motors und SolarCity, der Solarzellen inklusive Installation kostenlos anbietet. Er ist nicht von sozialen oder ökologischen Gründen angetrieben, sondern möchte ein Energie-Netzwerk aufbauen, was wiederum dazu führen soll, dass mehr Elektroautos (idealerweise von Tesla) gekauft werden.

Es wird zukünftig aber nicht nur im Wirtschaftssektor Disruption geben, so Brown, sie wird auch in Kunst und Kultur stattfinden. Mit Künstlern wie ‚Chemical X‘ oder Banksy hat die disruptive Entwicklung in der Kunstszene bereits begonnen.

Es bleibt also spannend, wie der Markt zukünftig mit disruptiven Ideen und Techno-logien umgehen wird. Solange man Veränderungen nicht scheut und den Ratschlag Browns befolgt, stets wachsam zu bleiben, gibt es auch keinen Grund einem disruptiven Markt nicht positiv gegenüber zu stehen.
Und um es in Marcus John Henry Browns Worten zu formulieren:
Be brave. Be disruptive.

Marcus John Henry Brown, geboren in England, seit 15. Januar 2016 zudem stolzer Besitzer der deutschen Staatsbürgerschaft, sagt von sich selbst, er sei Half Scottish Englishman, habe in Hogwarts studiert und sei unpolitisch. Er ist Creative Berater, Speaker und Consultant. Zudem ist er Mitbegründer seines Beratungsunternehmens SudaBrown. Er hält nicht nur Vorträge über Disruption, auch seine Methoden sind disruptiv: Meetings mit CEOs hält er nicht in Konferenzräumen, sondern auf mehrstündigen Wanderungen über die Alpen ab. Diese Creative Walks erlauben es ihm ungestört zu sein, um zusammen mit seinem Kunden neue Ideen zu erarbeiten.