Wie steht es wirklich um den deutschen Wohnimmobilienmarkt? Welchen Einfluss hatte und hat Corona auf die Branche und wie wird sich der Markt entwickeln? Betrachtet man die Zahlen der vergangenen Monate, zeigt sich recht deutlich, dass Corona zwar auch im deutschen Wohnimmobilienmarkt angekommen ist, aber keineswegs den tiefgreifenden Effekt hat, der zunächst erwartet wurde. – Ein Gastkommentar von Hans-Joachim Dübel

Ein Blick auf die Zahlen zwischen November, dem letzten umsatzstarken Monat des Jahres 2019, und Februar 2020 verdeutlicht, dass die zeitliche Dynamik mit dem Vorjahreszeitraum November 2018 bis Februar 2019 noch identisch verlief, wenn auch die Niveaus der Transaktionen inzwischen um 8 Prozent gestiegen waren.

Im März 2020 kam es dann zu einem überraschend deutlichen Anstieg der Transaktionsanzahl für Wohnimmobilien. Da zwischen konkreter Anbahnung einer Immobilientransaktion und Kredittransaktion, die die Europace-Daten messen, heute nur noch wenige Tage liegen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier um eine erste Reaktion von Kunden auf den erwarteten Lockdown sowie die seit der letzten Februarwoche eingetretenen Verwerfungen an den Finanzmärkten handelte. Zur Erinnerung: der Aktienindex DAX erreichte sein bisheriges Jahrestief bereits am 18.3., wobei die bundesweiten Lockdown-Massnahmen selbst mit ihren massiven wirtschaftlichen Einschränkungen, einschliesslich von Immobilientransaktionen, erst am 22.3. beschlossen wurden.

Entsprechend etwas geringer als saisonal üblich fiel die Nachfrage nach Immobilien im April und Mai aus, als Maklertermine und Immobilienbesichtigungen erschwert waren. Zudem weisen empirica-Daten auf einen Rückgang auf der Angebotsseite des Immobilienmarktes hin. So lag die Anzahl der angebotenen Häuser in diesem Zeitraum gegenüber den Vorjahren um ein Drittel niedriger.

Allerdings liegen auf Europace die Anzahl der Transaktionen für die Monate April und Mai immer noch um 10 Prozent über dem Vorjahr, für die Monate März bis Mai zusammengenommen sogar um 19 Prozent. Getrieben wurde die positive Transaktionsentwicklung auf Europace unter anderem durch eine hohe Nachfrage nach Häusern, und hier im März und April vor allem Neubauten. Mit den durch den Lockdown verursachten Verzögerungen bei Fertigstellungen kam es im Mai zu einem Wechsel der Dynamik zugunsten bestehender Häuser. Die Nachfrage nach Apartments war nach einem starken März im April und Mai verhalten. Dies kann auf die vor allem die Bewohner in den Städten einschränkenden Lockdown-Massnahmen zurückzuführen sein. Diese Entwicklungen finden entsprechenden Niederschlag in der räumlichen Verteilung der Transaktionen, die sich leicht von den Städten auf deren Umland verlagert haben. So fiel der Anteil der Transaktionen in den Städten auf Europace von 33 Prozent im Vorjahr auf 31 Prozent und das Umland wuchs von 44 Prozent auf 46 Prozent.

Transaktionen und Hauspreise in der Coronakrise

Das statistische Bundesamt Destatis weist für März 2020 um 9 Prozent erhöhte Baugenehmigungen gegenüber dem Vorjahr aus. Diese Wachstumsrate fiel im April im Verlauf der allgemeinen Demobilisierung der öffentlichen Verwaltung auf nur noch 1 Prozent. Die Bauproduktion brach nach offizieller Statistik ebenfalls stark ein, und zwar von 24 Prozent plus auf 4 Prozent minus im Jahresvergleich der Monate März und April. Diese Daten deuten auf einen weiterhin hohen Bauüberhang, also genehmigte aber noch nicht abgeschlossene Bauvorhaben, hin. Angesichts des historischen Höchststands von 770.000 überhängenden Wohnungen im Jahr 2019 ist dies ein weiteres Indiz für Angebotsknappheit auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt.

Das Zusammenspiel einer hohen Nachfrage vor allem nach Häusern, der Zurückhaltung der Hausverkäufer und eines geringeren Neubauangebotes unterstützen eine weiterhin kräftige Preisentwicklung. Gegenüber dem Vorjahr ist mit der Ausnahme der zumeist städtischen Apartments kein Unterschied im saisonalen Preisanstieg zu erkennen. Die EPX-Preise lagen insgesamt im März um 12,4 Prozent, im April um 11,4 Prozent und im Mai um 11,7 Prozent über Vorjahresniveau. Seit der Finanzkrise um 2008 entwickeln sich die Preise für Wohnungen parallel zu den Kursen von Bundesanleihen, die sich aufgrund des Zinstiefs auf historischem Rekordstand befinden.

Versuch eines Ausblicks

Eine zunehmend volatile politische Situation und gleichzeitig zunehmende staatliche Interventionen in die Wirtschaft bedeuten eine erhöhte Unsicherheit für den weiteren wirtschaftlichen Verlauf. Das sich zumindest in Europa abzeichnende Ende der Pandemie aus epidemiologischer Sicht angesichts von tendenziell niedrigen Neuinfektionsraten spricht für sich genommen für eine rasche Wirtschaftserholung. Damit einher ginge ein Rückgang der sprunghaft angestiegenen Arbeitslosigkeit und weiterhin positive Einkommensentwicklung im Privatsektor, vielleicht mit Ausnahme der durch Globalisierung und Migration unter Druck gehaltenen niedrigeren Einkommensgruppen.

Das zentrale Risiko für die wirtschaftliche Erholung wäre ein zweiter Lockdown im Zuge einer zweiten Corona-Welle. Neue staatliche Lockdown und andere Kontrollmassnahmen sowie eine lange anhaltende Unterbrechung von Export und Tourismus wären für den „Exportweltmeister“ Deutschland, der generell auf offene Handelsmärkte angewiesen ist, problematisch.

Unabhängig von der Unsicherheit über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung steigt der Wert des Wohnens, wie bereits aus den aktuellen Daten ablesbar. Dies gilt insbesondere für den Wert des selbstgenutzten Wohneigentums. Die Wohneigentumsbildung in Deutschland hinkt im internationalen Vergleich seit Jahrzehnten hinterher, nicht zuletzt weil der Staat durch hohe Grunderwerbsteuern, Baulandrationierung und Planungsstau diese behindert. Trotz der Hemmnisse werden eine höhere Wahrscheinlichkeit zukünftiger mobilitätseinschränkender Massnahmen, die aktuellen Mieteneingriffe in den Metropolen, die sich immer klarer abzeichnende Pensionskrise mit Notwendigkeit zur Vorsorge durch Vermeidung überhöhter Mietzahlungen und ein anhaltend niedriges Zinsniveau die Eigentumsbildung in den kommenden Jahren vorantreiben.

Auch eine verstärkte Dezentralisierung der Nachfrage hin zum Umland der Metropolen erscheint möglich. Was den kurzfristigen Ausblick betrifft, so könnte trotz der politischen Unsicherheit die Extremsituation der vergangenen Monate ab Mitte des Jahres der Vergangenheit angehören. Es ist in Deutschland aufgrund der Lockerungen und wirtschaftliche Erholung davon auszugehen, dass sich die Transaktionszahlen von dem aktuell etwas abgeschwächten Niveau erholen. Die Wohnimmobilienpreise werden bedingt durch niedrige Zinsen und den kurzfristigen Ausfall von Angebot aus Bestand und Neubau kurzfristig weiterhin steigen, vor allem für Häuser. Auch ist unter den derzeitigen Anzeichen mit einer Normalisierung der Bautätigkeit bis 2021 zu rechnen.

Autor: Hans-Joachim Dübel

Der Finanz- und Immobiliensektor-Ökonom ist Gründer und Inhaber der Finpolconsult und berät seit 20 Jahren nationale und internationale Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Behörden in Bezug auf gesetzlich-regulatorische Steuer- und Subventionsmodelle mit dem Fokus auf den Hypotheken- und Wohnimmobiliensektor.