Warum der Wohlstand von Sozialverhalten und Gesundheit abhängen wird

Von Erik Händeler

Finanz- und Wirtschaftskrisen werden nicht von finsteren Mächten auf den Finanzmärkten verursacht. Sie sind ganz normale Erscheinungen einer freien Marktwirtschaft, die sich in einem ungleichmäßigen Tempo wandelt. Nachdem der Computer uns nun all die strukturierten Wissensarbeiten weitgehend abgenommen hat, die er uns abnehmen konnte, fehlen jetzt die Kosten senkenden Produktivitätsfortschritte. Gewinne sinken, Schulden können nicht mehr so leicht bedient werden. Es fehlt an rentablen Investitionsmöglichkeiten, deswegen sind die Zinsen niedrig, das freie Geld fließt in die Spekulation und treibt die Vermögenspreise. Es wird ungemütlich, bis es uns gelingt, die nächste Stufe des Wohlstandes zu erschließen.

Die Finanz- und Schuldenkrise ist daher ein Symptom eines zu Ende gegangenen Strukturzyklus, wie es der Ökonom Nikolai Kondratieff (1892 – 1938) 1926 beschrieb, als er die Weltwirtschaftskrise vorhersagte. Ähnliches passierte 1873 beim Gründerkrach, nachdem die Eisenbahnen zwischen den damaligen Gewerbezentren weitgehend gebaut waren, oder 1929ff, nachdem die Wirtschaft weitgehend durchelektrifiziert war. Da Finanzmärkte die Folge, aber nicht die Ursache der wirtschaftlichen Entwicklung sind, liegt die Lösung in der Realwirtschaft: Nach Kondratieff entsteht der Veränderungsdruck an den relativ knappsten Produktionsfaktoren. Den Weg aus der aktuell instabilen Lage der Weltwirtschaft ist in einem präventiven Gesundheitssystem und in einer besseren Arbeitskultur in den Unternehmen zu suchen – beides erhöht die Produktivität der Wissensarbeiter.

Arbeit wird zu einer immateriellen Gedankentätigkeit

Denn Arbeit ist, Probleme zu lösen. Und weil wir Gott sei Dank immer Probleme haben wer-den, wird uns die bezahlte Arbeit niemals ausgehen. Sie wandelt sich lediglich: Arbeit ist nicht mehr so sehr die materielle Welt direkt mit den Händen zu bearbeiten – schrauben, fräsen, montieren haben uns die Roboter weitgehend abgenommen.

In Zukunft ist Arbeit vor allem immateriell: Eine Situation analysieren, Neues entwickeln, entscheiden, Information verständlich aufbereiten, in der gigantischen Wissensflut das Wissen finden und anwenden, das man braucht, um ein Problem zu lösen.

Dabei geht es nicht mehr so sehr um Einzelleistungen wie früher, sondern um die Produktivität von Gruppen, um deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Weil der Einzelne ein Fachgebiet immer weniger überblicken kann, sind wir zunehmend auf das Wissen anderer angewiesen. Statt des gehorsamen, austauschbaren Rädchens der alten Industriegesellschaft wird so jeder einzelne auf einmal zu einem unverzichtbaren Spezialisten für einen Zwischenschritt in der Produktion oder für ein Wissensgebiet. Er ist auf einmal für die ganze Firma verantwortlich – zumindest was sein Fachgebiet angeht. Seine tatsächliche Bedeutung ist nicht mehr von einer formalen Hierarchie abhängig, sondern schwankend von der tagesaktuell geforderten Kompetenz.

Das verändert die Strukturen: Auf einmal müssen auch die formal Gleichrangigen ihr Verhältnis untereinander neu ordnen. Doch das wirklich Neue ist nicht so sehr diese Strukturveränderung als vielmehr etwas Soziales: In einer globalisierten Wirtschaft sind Kapital, Wissen, Maschinen weltweit für jeden verfügbar und austauschbar. Der einzige entscheidende Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen. Umgang mit Wissen ist aber immer Umgang mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele berechtigte Interessens-konflikte haben. Die nötige Teamarbeit erzeugt dabei ein vermeintliches Machtvakuum, weil nicht mehr klar zu sein scheint, wer das Sagen hat. Die für Informationsarbeit nötigen, flachen Organisationsstrukturen und projektbezogene Teamarbeit vervielfältigen die Schnittpunkte in den Unternehmen und damit die Gründe für Interessenskollisionen und persönliche Spannungen, die nicht nur Zeit und Geld kosten, sondern auch die Beschäftigten krank machen. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden. Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbehauptung. Der Krieg im Büro verursacht Produktivitätsverluste, die jedes Jahr in die Milliarden gehen. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil der Mensch eben so sei, der verkennt die formende Kraft des Marktes.

Wer Informationsarbeit nicht ausreichend effizient löst, der bekommt in Zukunft vordergründig ein „Kostenproblem“ – und wird vom Markt verschwinden. Unter diesem Veränderungsdruck bilden sich neue Verhaltensmaßstäbe heraus. Sie haben weniger mit Fachkompetenz
oder Organisation zu tun, sondern damit, wie weit das Verantwortungsgefühl eines Menschen reicht und ob man ausreichend selbstbewusst ist, ohne Statussymbole und firmenöffentliche Machtbeweise auszukommen. Hinter den Preisunterschieden gleicher Produkte verschiedener Firmen verbergen sich Produktivitätsunterschiede – und das sind künftig in erster Linie Verhaltensunterschiede. Nötig sind: Transparenz statt Kungelei, Versöhnungsbereitschaft statt ewiger Fehden, Authentizität statt Blendung, Kompetenz statt Statusorientierung, Kooperationsfähigkeit statt Machtkämpfe, langfristige Orientierung statt Kurzfristigkeit, und eine Verantwortung, die über die eigene Karriere und die eigene Kostenstelle hinausgeht. Wird die Welt vielleicht doch immer besser?

Erik Händeler ist als Buchautor und Zukunftsforscher vor allem Spezialist für die Kondratiefftheorie der langen Strukturzyklen. Nach der Tätigkeit als Stadtredakteur in Ingolstadt, studierte er in München Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. 1997 wurde er freier Wirtschaftsjournalist, um die Konsequenzen der Kondratiefftheorie in die öffentliche Debatte zu bekommen. 2010 zeichnete ihn die russische Akademie der Wissenschaften mit der Bronze-Medaille für wirtschaftswissenschaftliches Arbeiten aus.
www.erik-haendeler.de