von Antje Pohle, Volontärin Communication und Sven Westmattelmann, Group Communication Manager

Was hat die Explosion eines Maiskorns zum Popcorn mit den Entwicklungen in unserer Gesellschaft und Wirtschaft zu tun? Lars Thomsen gab auf der EUROPACE-Konferenz einen lebendigen Einblick, wie neue Technologien, Zukunftstrends und die nächste Generation Arbeitsprozesse, Geschäftsmodelle und Unternehmenskulturen prägen und revolutionieren werden. Thomsen gehört zu den bekanntesten Zukunftsforschern Deutschlands und gilt als Experte in den Bereichen Mobilität und Smart Networks. Wie ein Trend entsteht und wie es zum sogenannten Tipping Point kommt, dem Punkt oder Moment, an dem eine Entwicklung durch bestimmte Rückkopplungen entweder abrupt die Richtung wechselt oder stark beschleunigt und zum qualitativen Umschlagspunkt wird – das erklärt er sehr unterhaltsam am Beispiel der Metamorphose eines Maiskorns zum Popcorn.

Der Tipping Point für Popcorn ist der Moment, in dem die ersten Maiskörner in einem erhitzten Topf aufpoppen. Wird dieser Punkt erreicht, lässt sich die Verwandlung der Maiskörner zu Popcorn praktisch nicht mehr aufhalten oder beeinflussen. Übertragen auf Trends in der Wirtschaft erläutert Thomsen, dass jenseits des Tipping Points Trends bereits offensichtlich sind und es für Unternehmen dann bereits zu spät ist, um auf die Entwicklung noch Einfluss nehmen und innovative Produktkulturen kreieren zu können. Der Zug der erfolgreichen Strategien ist bereits abgefahren – überall poppen bereits dem Trend entsprechende neue Dienstleistungen oder Produkte auf.

„Heutzutage muss man einen Schritt voraus sein und schon vor der Herstellung des Popcorns wissen, bei welcher Temperatur der Mais aufpoppt“, so Thomsen. Was das mit Zukunftsforschung zu tun hat? Früher wurde nur beobachtet und darauf gewartet, bis der Tipping Point erreicht war – das Öl im Topf also heiß genug war, um das erste Maiskorn platzen zu lassen und sich in Popcorn zu verwandeln. Thomsen warnt: „Um heute und vor allem in der Zukunft am Puls der Zeit und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft zu bleiben, reicht eine genaue Beobachtung und geduldiges Warten nicht mehr aus.“

Er teilt die Menschen, die um einen Popcorn-Topf herumstehen und ihre Prognosen zum Verlauf des Prozesses abgeben, in drei Typen ein: Die Optimisten, die Realisten und die Pessimisten. Diese drei Typen gibt es nicht nur in der heimischen Küche, sie existieren in allen Bereichen von Gesellschaft und Wirtschaft. Der Optimist ist mit seiner Prognose immer etwas zu früh dran und kann das Ergebnis, den Mais aufplatzen zu sehen kaum erwarten. Der Pessimist ist mit seiner Einschätzung zu spät oder besitzt erst gar nicht die Vorstellungskraft oder den Glauben an das Resultat. Der Realist glaubt an seine richtige Einschätzung des Verfahrens, verlässt sich jedoch nicht allein darauf und bedient sich moderner Tools, die ihm vorab größtmögliche Gewissheit geben, richtig zu liegen. Er zückt das Smartphone oder I-Pad und googelt einfach das Wort Popcorn. Schnell und unabhängig erfährt er im Netz nicht nur alles zum Aufbau des Maiskorns, sondern auch, dass die Temperatur des Öls beim Aufpoppen der Maiskörner zwischen 162 und 167 Grad beträgt. Durch selbstständige Wissenszufuhr hat er die Möglichkeit, smart und zeitgerecht zu handeln sowie im Voraus die richtigen Entscheidungen zu treffen, um einen Wachstumsprozess erfolgreich vorzubereiten und zu begleiten. Er hat das Zeug zum Zukunftsforscher.

Diese Entwicklung, Dinge selbstständig vorausplanen und berechnen zu können, um Verhaltensweisen, Zeitpunkte und Bedürfnisse bestmöglich vorhersagen zu können und sich vorab über ihren Verlauf zu informieren, beeinflusst nicht nur die Zukunftsforschung, sondern immer stärker unsere Gesellschaft insgesamt. Thomsen und sein Team analysieren rund 15.000 Daten pro Jahr, um herauszufinden, welche Produkte und Entwicklungen in der Zukunft für unsere Gesellschaft relevant sein werden. Als einen Trend-Indikator untersucht er beispielsweise, wie oft Begriffe in Patentanmeldungen genannt werden.

Lars Thomsen ist sich sicher, dass Roboter und Computer mit Assistenzqualitäten in 520 Wochen (10 Jahren) unseren Alltag mitbestimmen und Arbeitsprozesse noch viel intensiver beeinflussen werden, als sie es jetzt schon tun. „Im Jahr 2025 werden wir nicht nur anders arbeiten, wohnen und mit energiefreundlichen Elektroautos herumfahren. Wir werden trotz oder gerade wegen dieser rasanten technischen Entwicklung noch viel intensiver auf Menschen angewiesen sein, die die Zukunft von Unternehmen verantwortungsvoll gestalten und vorantreiben. Menschen, die einen Plan von der Zukunft haben, in der sie agieren und nicht nur reagieren wollen.“

Thomsen spricht von der Symbiose aus smarter Technik und menschlichem Kommunikations-Know-how. Er referiert über das semantische Internet 3.0. Über das Internet der Dinge. Mehr und mehr wird an das Internet angeschlossen. Mehr und mehr denken Computer und das Internet mit. Immer mehr Arbeitsabläufe sind mit hochentwickelten Technologien zu realisieren: „Diese neue Technik versteht uns, analysiert selbstständig unser Verhalten und lernt dazu“, erklärt der Zukunftsforscher. Er ist davon überzeugt, dass schon in drei Jahren Computer echte Assistenten sein werden, da es z.B. PC-Programme geben wird, die unsere E-Mail-Korrespondenz zu einem großen Teil übernehmen können, Computer in der Lage sein werden, unsere „To Do When Time“-Stapel abzuarbeiten: „Sie werden Fachartikel für uns lesen und filtern, Reisepläne erstellen. Sie werden die Richtigkeit der Steuererklärung überprüfen und Aktienanalysen besser und kosteneffizienter berechnen, als es ein Spezialist jemals konnte“, ist Thomsen überzeugt. Autos werden selbstständig fahren – weil sie das bis spätestens 2020 deutlich sicherer machen als menschliche Fahrer. In einem Google-Prototyp saß er bereits.

„Erinnern Sie sich noch – 2006, im Sommer, das Sommermärchen. Fühlt sich gar nicht so lange her an, oder? Und doch auch schon fast 520 Wochen her. Welche Smartphone-App war damals eigentlich die beliebteste, um Fußballergebnisse zu checken oder herauszufinden, wann welches Spiel auf welchem Sender übertragen wurde?

Es gab keine! Erst gut ein Jahr später – im September 2007 – hat Steve Jobs mit dem iPhone das erste Smartphone der Welt vorgestellt.“

Und nicht nur Steve Ballmer, damaliger CEO von Microsoft, lag mit seiner Einschätzung, dass es für ein 500-Dollar-Telefon keinen Markt gebe und dass das nur eine Spielerei ohne zusätzlichen Nutzen sei, sehr, sehr falsch.

Die enorme Leistungskapazität von Computern, Programmen und Robotern wird zwischen 20 und 30 Prozent der Arbeitsplätze in den nächsten Jahren rationalisieren. Dies wird vor allem Arbeitnehmer betreffen, die einfache, wiederkehrende Routinetätigkeiten ausführen, aber auch solche, die sich mit der Aufbereitung und Auswertung von Daten beschäftigen. „Wie wir damit umgehen werden, hängt von unserer eigenen Flexibilität ab“, so Thomsen. Menschen, die in der Lage sind, diese Veränderungen in Unternehmen zu tragen, es mit ihrem technischen Know-how und ihren Soft Skills zu bereichern und dessen Kultur zukunftsorientiert zu prägen, werden die Profiteure dieser Veränderung sein. „Menschen, die ihre Leidenschaft, Motivation und Leistung jeden Tag einsetzen, um für das Wohl und den Gewinn einer Fima zu arbeiten“, ergänzt Thomsen. Denn trotz aller Weiterentwicklung und Technologie bleiben es Menschen, die Vertrauen aufbauen, Empathie zeigen und zwischenmenschliche sowie geschäftliche Verbindungen erarbeiten oder verbessern. Um komplexe Sachverhalte zu verstehen und Produkte zu verkaufen, bedarf es weiterhin des Homo Sapiens!

Warum? Menschen handeln – im Gegensatz zu Computern – nicht rational und systematisch. Kaufentscheidungen oder auch die Wahl des Arbeitgebers werden auch in hoch technologisierten Gesellschaften emotional getroffen. Der Konsument oder Angestellte von heute und morgen will mehr denn je Teil des Unternehmens sein. Er will sich mit der Corporate Identity und den Unternehmenswerten identifizieren können. Somit wird in den nächsten Jahren nicht nur das Produkt oder dessen Image allein ein wesentlicher Faktor sein. Die Unternehmensphilosophie, Unternehmenswerte, das Betriebsklima und die Work Life Balance werden genauso wichtig wie das Einkommen.

Aufgrund des demografischen Wandels werden die Arbeitnehmer der nächsten Generation sich zunehmend in der Position befinden, sich das Unternehmen, für das sie tätig sein wollen, aussuchen zu können. Der nächste „Tipping Point“ wird die Roboterindustrie gleichermaßen betreffen wie die Weiterentwicklung und Verbesserung von Unternehmenskultur, Recruiting- und Ausbildungsbereichen sowie moderne Führungsfähigkeiten. „Menschen wollen immer stärker zu etwas dazu gehören, mit dem sie sich identifizieren können. Daher sollten wir uns – trotz aller Technologie – die Zeit zum Denken und Reden nehmen. Denn der Mensch bleibt Mittelpunkt und das Maß aller Dinge. Und Innovation hat nur dann Sinn, wenn unser Leben dadurch in der Zukunft verbessert wird“, so Thomsen abschließend.

Die Zukunft wird gemacht, doch wie werden wir uns daran beteiligen? Veränderungen werden nicht nur in Arbeitsprozessen notwendig sein, sondern auch in der Organisation und den Führungsetagen. Denn die künstliche Intelligenz, das digitale, smarte Nervensystem, wird unsere Zukunft stärker verändern, als alle Technologien der vergangenen 100 Jahre.

Manchmal kommt die Zukunft schneller als man denkt: Wie richtig Thomsen beispielsweise im September mit seiner Prognose lag, dass E-Mail-Programme uns bei der Beantwortung unserer Korrespondenz unterstützen werden, zeigt, dass Google Anfang November angekündigt hat, in der neuen Version seiner „Inbox“-App eine Funktion „Smart Reply“ anzubieten. Die Software „liest“ die Texte eingehender Nachrichten mit. Ein so genanntes neuronales Netzwerk soll anhand der Worte erkennen, worum es in der E-Mail geht und entsprechende Antwort-Vorschläge machen. Dabei soll es aus der Auswahl der Antworten lernen, für die sich die Nutzer entscheiden, und so mit der Zeit immer passendere Vorschläge machen können. Die Zukunft hat längst begonnen!